Seit dem Beschluss der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) im Jahr 2004, den Fremdsprachenunterricht auf die Primarstufe vorzuverlegen, wurde der Fremdsprachenunterricht in den Kantonen ab dem Schuljahr 2006/2007 sukzessive angepasst. Diese Neuregelung löste intensive und vielschichtige Debatten aus, die sich auf verschiedene Quellen wie wissenschaftliche Studien, Fachliteratur und Expertisen stützen. Es werden unterschiedliche Aspekte des Fremdsprachenunterrichts diskutiert, wie z.B. die Reihenfolge des Erwerbs, das Alter der Schüler:innen zu Beginn des Fremdsprachenunterrichts oder die Resultate.
Das Forschungsprojekt untersucht anhand von Texten aus Wissenschaft, Politik und Medien, wie im Diskurs zum Fremdsprachenunterricht in der Schweiz auf Autoritäten, Expertise und Evidenz verwiesen wird:
- Autoritäten: Welche Akteure aus Wissenschaft, Politik oder anderen Bereichen werden als Autoritäten angeführt und von wem?
- Expertise: Welche Arten von thematisch-fachlicher Expertise lassen sich identifizieren? Was wird von wem als Expertise zugelassen, was nicht?
- Evidenz: Zu welchen Themen und in welchen Kontexten der Debatte wird welche Quelle herangezogen? Welche Argumente werden nicht (oder selten) durch Quellen gestützt, sondern z. B. mittels Verweise auf Normen/Werte? Was wird als empirische Evidenz zugelassen, was nicht und von wem?
Das Projekt umfasst vier Phasen: 1) Definition des Korpus und Dokumentensammlung; 2) Erstellung des Analysesystems und Zuordnung der Verweise; 3) Inhalts- und Toposanalyse; und 4) Zusammenführen der Ergebnisse, Beantwortung der Forschungsfragen und Publikation der Ergebnisse.
Das Projekt soll eine zusammenfassende Darstellung der Debatte um frühen Fremdsprachenunterricht in der Deutsch- und Westschweiz seit dem EDK-Beschluss von 2004 liefern. Die Analyse der Argumentation zu ausgewählten diskursiven Ereignissen zielt darauf ab, die spezifischen topologischen Diskursformationen der Debatte und ihrer Teildebatten sichtbar zu machen, um die argumentativen Topoi, die sich in der Debatte auf Autoritäten, Expertise und wissenschaftliche Evidenz beziehen, zu systematisieren.
Dieses Projekt ist sowohl theoretisch als auch praktisch relevant. Für die kritische Auseinandersetzung mit dem politischen und wissenschaftlichen Diskurs ist es wichtig zu zeigen, wie er zustande kommt, mit welchen Mitteln und Zielsetzungen argumentiert wird und welche Rolle dabei der Bezug zu Wissenschaftlichkeit im Allgemeinen, aber auch zu konkreten Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung spielt. Das Projekt untersucht, wie bestimmte Argumente entwickelt und verwendet werden, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse dabei eine Rolle spielen und wie zwischen wissenschaftlichen und «pseudowissenschaftlichen» Ergebnissen unterschieden wird. Ziel des Projekts ist es auch, Erkenntnisse zur Rolle von Wissenschaft und anderen Autoritäten in einem öffentlichen Diskurs in der Schweiz zu gewinnen sowie darüber, wie Forschungsresultate zur Meinungsbildung beigezogen werden.