Dr. Claudia Cathomas, lic.phil. Flurina Graf, Institut für Kulturforschung Graubünden
Zwei Drittel aller Rätoroman:innen leben ausserhalb des rätoromanischen Stammgebiets, doch die spezifischen sprachlichen Bedingungen ausserhalb des rätoromanischen Sprachgebiets wurden bis anhin noch nicht umfassend erforscht. Eine im Jahr 2019 vom Zentrum für Demokratie Aarau durchgeführte Evaluation zu Massnahmen des rätoromanischen Spracherhalts sieht mit Blick auf die Diaspora grossen Handlungsbedarf (u.a. betreffend des Bildungsangebots und der Vernetzungsmöglichkeiten der Rätoroman:innen untereinander). Die Autoren empfehlen eine systematische Abklärung der Bedürfnisse.
Vor diesem Hintergrund führt das ikg eine Situations- und Bedarfsanalyse mit folgenden Hauptzielen durch:
- In der Situationsanalyse wird zum einen das rätoromanische Bildungsangebot in drei Orten der Diaspora erhoben. Zum anderen wird eruiert, wie und in welchem Rahmen das Rätoromanische in Familien in der Diaspora verwendet wird. Dabei werden verschiedene Aspekte wie die Sprachverwendung, Sprachkompetenzen, Spracheinstellungen und Sprachpraktiken wie Code-Mixing untersucht. Es sollen hierbei auch romanischsprachige Personen befragt werden, welche die Sprache nicht mehr oft oder gar nicht mehr verwenden, um Bedingungen für einen möglichen Sprachwechsel untersuchen zu können.
- Die Bedarfsanalyse soll Aussagen über die Bedingungen für den Erhalt der Sprache in diesem vom Deutschen dominierten Umfeld ermöglichen. Ein wichtiger Punkt ist dabei die Erhebung der spezifischen Bedürfnisse der Familien in Bezug auf Institutionen, Angebote und Hilfsmittel im Zusammenhang mit der Nutzung des Rätoromanischen im Alltag.
Von den zwei Dritteln der rätoromanischen Bevölkerung in der Diaspora entfallen 93% auf die Deutschschweiz. Folglich fokussiert das Projekt auf die Rätoroman:innen in der Deutschschweiz. Da ein langfristiger Spracherhalt nur durch die Vermittlung der Sprache an nächste Generationen gelingt und da rätoromanischsprachige Familien in der Deutschschweiz durch die fehlende Anbindung an eine romanische Schule und an ein romanisches soziales Umfeld in Bezug auf die Vermittlung des Romanischen oft auf sich gestellt sind, sollen vor allem Familien mit Kindern ab Spracherwerb (ca. 1.5 Jahre) bis Jugendalter (ca. 18 Jahre) im Vordergrund stehen. Für die Studie eignen sich Orte, die in Bezug auf rätoromanische Institutionen und Angebote unterschiedlich aufgestellt sind: Chur als innerkantonaler und zentraler Verbindungspunkt zwischen den Idiomen mit Möglichkeit der zweisprachigen Schule und Matura und dem grössten romanischsprachigen Bevölkerungsanteil in der Diaspora, Zürich als zweitgrösste rätoromanische Gemeinde mit einer rätoromanischen Kindertagesstätte sowie Bern als Bundeshauptstadt und Verwaltungszentrum mit einer deutlich kleineren rätoromanischen Diaspora und einem fast gänzlich fehlenden Angebot.
Basierend auf den Ergebnissen der Studie werden unter Einbezug der Analyse von internationaler Forschungsliteratur zu vergleichbaren Situationen Handlungsempfehlungen formuliert.