Sämtliche in der Schweiz lebenden Personen sind mit schriftlichen behördlichen Mitteilungen konfrontiert. Die Bürgerinnen und Bürger müssen daher eine mitunter mehrsprachige "administrative Sprachkompetenz" entwickeln, um mit den Behörden in einer oder mehreren Sprachen kommunizieren zu können. Dieses Forschungsprojekt konzentriert sich auf das Verständnis und die Redaktion von schriftlicher Korrespondenz mit Institutionen im Bereich der Sozialversicherungen (Arbeitslosigkeit, Invalidität, AHV, Familienzulagen usw.). Texte von Sozialversicherungen, ob per Post, E-Mail oder über digitale Plattformen, bereiten den Menschen, die sie erhalten, oft grosse Schwierigkeiten. Die Herausforderungen sind zwar dem Staat, den Vereinigungen und der Forschung teilweise bekannt, die Gründe für die Verständigungsschwierigkeiten im mehrsprachigen und föderalistischen Kontext der Schweiz sind aber nach wie vor wenig erforscht.
Das Forschungsprojekt hat zum Ziel, ein besseres Verständnis für die sozialen, sprachlichen und technologischen Komponenten zu entwickeln, die diese Arten des schriftlichen Austauschs erleichtern oder erschweren. Die soziolinguistische Studie geht ethnographisch und korpusbasiert vor und verbindet einen quantitativen mit einem qualitativen Ansatz. Sie ist in drei Teilbereiche strukturiert und berücksichtigt drei Landessprachen (Deutsch, Französisch und Italienisch).
- Teilbereich «Korpus aus behördlichen Texten»: Mit der Unterstützung von Vereinigungen werden als schwierig eingestufte behördliche Schreiben gesammelt und anonymisiert, um eine quantitative linguistische Analyse durchzuführen.
- Teilbereich «Verfassen von behördlichen Schreiben»: Wir führen eine detaillierte Analyse der Prozesse beim Verfassen von Verwaltungsschreiben durch. Dies geschieht aus der Sicht der verfassenden Personen und anhand einer Sammlung institutioneller Dokumente, ergänzt durch semistrukturierte Interviews mit Personen, die Sozialversicherungstexte verfassen.
- Teilbereich «Lesen, Verständnis und Aufarbeitung»: Mithilfe von Interaktionsbeobachtungen und semistrukturierten Interviews von öffentlichen Schreibern (meist Wohltätigkeitsorganisationen oder NGOs, die bei der Korrespondenz Unterstützung leisten) werden wir Aufarbeitungsstrategien analysieren und so untersuchen, wie die Empfangenden und die öffentlichen Schreiber für ein besseres Textverständnis und das Formulieren einer angemessenen Antwort zusammenarbeiten.
Dieses Projekt wird einen detaillierten Einblick in wichtige Herausforderungen im Bereich Textverständnis und Textredaktion bieten, die anhand von konkreten Ressourcen und Situationen dokumentiert werden. Die Forschungsergebnisse können dazu genutzt werden, problematische textuelle Muster sowie soziale, sprachliche und digitale Praktiken für ein besseres Textverständnis zu identifizieren. Dies ermöglicht, die rein sprachlichen Schwierigkeiten von den kontextuellen und sozialen Schwierigkeiten zu unterscheiden. Das Projekt wird diesbezüglich Empfehlungen für das Verfassen von behördlichen Texten in den drei betroffenen Landessprachen herausgeben. Ausserdem werden Vorschläge für soziale Massnahmen unterbreitet, die das Lesen und Verstehen von Behördenschreiben erleichtern sollen.